Das Wirkungsgefüge Familie und Betrieb als Gegenstand der Systemaufstellung am Projektbeispiel „Zwei Systeme–Eine Welt“
Julianna Fehlinger, Anna S. Santner, Anna K. Telser und Marianne Penker (1)
Abstract – Ausgehend vom Wandlungsprozess des gesellschaftlichen Familienmodells untersucht eine Interdisziplinäre Projektstudie Veränderungen und Konfliktfelder in bäuerlichen Familien. Potentiellen Bruchstellen wie Generationenbeziehungen und Geschlechterverhältnissen und dem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die empirische Erhebung basiert auf leitfadengestützten Expertengesprächen mit Verantwortlichen eines Modellprojekts in Kooperation mit der steirischen Landwirtschafts- beratung und der EU. Das Projekt „Zwei Systeme – Eine Welt“ begleitet über zwei Jahre bäuerliche Familien mit Hilfe von Systemaufstellungen sowie ergänzenden therapeutischen und organisations- beratenden Methoden. Einblicke in die projektinterne Wahrnehmung der Wechselbeziehungen zwischen Familie und Betrieb werden ebenso präsentiert wie das Potential des Instruments „Systemaufstellung“ in der Beratung bäuerlicher Familienbetriebe.1
EINLEITUNG
Die Vorstellung, die wir mit dem Begriff “Familie” verknüpfen, und damit auch die Art und Weise, wie Familie gestaltet wird, ist einem ständigen Wandel unterworfen (Mitterauer und Sieder, 1991). Die bäuerliche Familie geht, ausgelöst durch die enge Verknüpfung von Lebens- und Betriebseinheit, einen eigenständigen Weg der Modernisierung, der aber oftmals als „rückständig“ gesehen wird (Hildenbrand et al., 1992; Goldberg, 2003)
. Der zentrale Fokus dieser Arbeit liegt auf den Wechselwirkungen zwischen Familie und landwirtschaftlichem Betrieb und den Veränderungsprozessen dieses Wirkungsgefüges.
Da der Familienalltag empirisch nur schwer erschließbar ist, wurde ein indirekter Zugang gewählt. Das Pilotprojekt „Zwei Systeme – Eine Welt“, das seit 4 Jahren mit bäuerlichen Familien aus der Steiermark arbeitet, soll einen Einblick in das Familien-Hof-Gefüge und seinen Wandel geben. Die jeweiligen Familien werden über zwei Jahre hinweg von einem Team aus Psychotherapeutinnen, Unternehmens – & Organisationsberaterinnen sowie Lebens- & Sozialberaterinnen intensiv begleitet und bekommen durch Aufstellungsarbeit und andere therapeutische Methoden die Möglichkeit, einen anderen Umgang mit familiären und beruflichen Problemen zu finden. Damit einhergehend stellte sich auch die Frage nach dem Potential des Instruments „Systemaufstellung“ in der landwirtschaftlichen Beratung.
WANDEL DES WIRKUNGSGEFÜGES FAMILIE UND BETRIEB
Innerhalb der bäuerlichen Familien lösen individuelles Handeln und individuelle Organisation des Lebens traditionelle Sicherheiten und Verbindlichkeiten langsam ab (Hildenbrand et al., 1992). Widersprüche zwischen persönlichen und betrieblichen Aspekten treten somit deutlicher hervor (Goldberg, 2003). Durch die enge Verknüpfung der “Zwei Systeme” – Familie und Betrieb – wirken sich Wandlungsprozesse immer auf beide Systeme aus und können zu Konflikten führen. Oedl-Wieser (1997) zeigt, dass vor allem in bäuerlichen Familien die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach wie vor besonders strikt ist: Reproduktionsarbeit ist Frauenarbeit; der Mann ist im Gegenzug der „Ernährer“ der Familie und in die Erwerbsarbeit eingebunden. Andere traditionelle Werte wie das „Hofdenken“ führen bis heute, zu einer hohen Bereitschaft der jungen Generationen, die Höfe weiter zu führen (Goldberg, 2003). Dennoch stellt die Klärung der Hofnachfolge ein konfliktreiches Thema dar.
Die bäuerliche Familie ist eingebettet in ein festes Gefüge von Institutionen und Traditionen, aber auch Bildungs- und Beratungseinrichtungen, die bestimmte Werte und Rollenbilder weitergeben und verfestigen. Den bäuerlichen Fachberaterinnen wird oft abverlangt, sich nicht nur den fachspezifischen, sondern auch den zwischenmenschlichen Problemen am Bauernhof zu stellen. Diese bedingen sich meist gegenseitig und erschweren eine Lösungsfindung.
DAS PROJEKT
„Zwei Systeme – Eine Welt“ hat sich zum Ziel gesetzt, bäuerlichen Familienbetrieben in Krisen-, Entwicklungs- und Veränderungssituationen zu begleiten und Lösungen für Betriebe und Familie zu erarbeiten und umzusetzen (Ulreich, 2010)
Das Kernteam des Projekts umfasst vier Personen mit therapeutischen und verschiedenen Beratungsberufen wie auch einen Mitarbeiter des LFI(Landwirtschaftliches Fortbildungsinstitut) Steiermark. Diese haben auch die Initiative für die Entstehung des Projektes ergriffen und werden durch weitere fünf Mitarbeiterinnen in der Betreuung der Familien unterstützt. Auftraggeberinnen sind jeweils die einzelnen Familien, wobei 2/3 der Kosten vom LFI und der Europäischen Union übernommen werden.
METHODE
Zur Beantwortung der Frage nach dem Wirkungsgefüge von Familie und Hof und seinem Wandel sowie der Potentiale der Aufstellungsmethode für die landwirtschaftliche Beratung wurden drei Mitarbeiterinnen des Projekts „Zwei Systeme – Eine Welt“ in leitfadengestützten Experteninterviews befragt. Die Auswertung der aufgezeichneten Interviews erfolgte mittels deduktiver , literaturbasierter Analysekategorien sowie zusätzlicher induktiver Kategorien. Die Auswertung war zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Textes noch nicht abgeschlossen, daher sind im Folgenden erst erste Ergebnisse präsentiert.
ERSTE ERGEBNISSE UND DISKUSSION
Die Interviewten bestätigen im Wesentlichen die in der Literatur dargestellten Beobachtungen zum Wirkungsgefüge Familie und Betrieb und seinem Wandel. So nahmen sie ein verstärktes Selbstbewusstsein der bäuerlichen Familien, besonders der jungen Frauen wahr. Dennoch beobachten sie bei den meisten Familien immer noch eine klare Trennung der Geschlechterrollen am Betrieb und häufige Konflikte in Zusammenhang mit der Hofnachfolge, dem Zusammenleben der Generationen und dem Zusammentreffen unterschiedlicher Alltagskulturen z.B. bei Einheirat einer hoffremden Person in ein bestehendes Familien- und Hofgefüge.
Die Methode der Systemaufstellung kann in diesem Zusammenhang einen etwas ungewohnten, aber wesentlichen Beitrag zur landwirtschaftlichen Beratung leisten. Durch das Sichtbarmachen der Systemzusammenhänge zwischen Familie und Hof kann eine Verbesserung der Kommunikation am Betrieb und des Umgangs miteinander erfolgen. Laut den Interviewten sind Veränderungen der Landwirtinnen nach den Aufstellungen zu beobachten, wie z.B. ein Wandel in Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein und bessere Handlungskompetenzen, mehr Kreativität und Aktivität.
Die systemische Aufstellungsarbeit eignet sich gut für Familien, die sehr tief in ihrer Situation „stecken“ und dadurch Vorstellungen oder Zielen nicht klar definieren können, was eine betrieblich-wirtschaftliche Begleitung schwer möglich macht. Somit kann eine, der eigentlichen Beratung vorgelagerte Systemaufstellung die Beratungsfähigkeit bzw. Nachfrage nach Beratung in vielen Familien erst ermöglichen (Boland und Michaelis, 2007).
Der Stellenwert, den diese Methode im Kontext der agrarischen Beratung einnehmen kann, wird von den Interviewten anders als in der Literatur gesehen. Boland und Michaelis (2007) sehen die Systemaufstellung nicht als Teil regulärer, landwirtschaftlicher Beratung. Das Projekt „Zwei Systeme – Eine Welt“ hingegen arbeitet sehr eng mit den zuständigen landwirtschaftlichen Fachberaterinnen und Beratungsorganisationen zusammen und die befragten Expertinnen sehen sich und ihre Projektkolleginnen als Teil und wesentliche Unterstützung der regulären Beratung.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Systemische Organisationsberatung, die in der außeragrarischen Unternehmensberatung bereits gut verankert ist, hat in einem steirischen Pilotprojekt nun auch Einzug in die agrarische Fachberatung gehalten. Die Wechselwirkungen der beiden Systeme Hof und Familie sind vielgestaltig und sie sind, wie der Titel des untersuchten Projekts zeigt, nicht getrennt voneinander zu denken.
Diese Erkenntnis war Ausgangspunkt für die Initiierung des Projekts, das bäuerliche Familien über zwei Jahre u.a. mit Familien- und Organisationsaufstellungen begleitet. Klar erkennbar sind auch die großen Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels des Familienbegriffes auf die bäuerlichen Familien. Konflikte treten vor allem in der Hofnachfolge auf. Mit „Zwei Systeme – Eine Welt“ und ähnlichen Projekten (Wesseler, 2003; Boland und Michaelis, 2007) findet auf institutioneller Ebene eine Auseinandersetzung mit dem Wirkungsgefüge Familie und landwirtschaftlicher Betrieb statt. Solche Projekte sind nicht nur eine Erweiterung für das agrarische Beratungssystem, sondern regen auch dazu an, Höfe und Betriebsstrukturen „neu zu denken“.
1 Julianna Fehlinger, Anna S. Santner und Anna K. Telser studieren Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur (anna.telser@gmx.at, J.Fehlinger@gmx.at, apfelkernchen1@gmx.at). Marianne Penker arbeitet am Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur (penker@boku.ac.at)
LITERATUR
Boland, H. und Michaelis, T. (2007). Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstel- lungen und Lösungsorientierung zur Beratungsarbeit in der Landwirtschaft. Berichte über Landwirtschaft. Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft
. 84 (2):264-288.
Goldberg, C. (2003). Postmoderne Frauen in traditionalen Welten. Zur Weiblichkeitskonstruktion von Bäuerinnen. 1. Auflage. Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH.
Hildenbrand, B., Bohler, K.-F., Jahn W. und Schmidt, R. (1992). Bauernfamilien im Modernisierungsprozeß. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Campus Verlag.
Mitterauer, M. und Sieder, R. (1991). Vom Patriarchat zur Partnerschaft: Zum Strukturwandel der Familie. 4. Auflage. München: C.H. Beck ́sche Verlagsbuchhandlung.
Oedl-Wieser, T. (1997). Emanzipation der Frauen am Land. Eine explorative Studie über Ambivalenzen und Lebenszusammenhänge. Forschungsbericht Nr. 40. Wien: Bundesanstalt für Bergbauernfragen.
Ulreich, E. (2010). Zwei Systeme – Eine Welt. Folder. www.ulreich.info/content/view/32/28/ (April 2010).
Wesseler, M. (2003). Systemaufstellungen als innovatives Beratungsinstrument im ökologischen Landbau. Schlussbericht. FB Ökologische Agrar- wissenschaften, Universität Kassel.